Der Sichelspeer der Hōzōinryū (9)

Hozoinryu Kagita inei Ishida Nishikawa

Von Kagita Chūbee, 20. Sōke der Hōzōinryū

Die Rückkehr des Hōzōinryū Sōjutsus nach Nara

Zwischen dem Hōzōinryū Sōjutsu und der Familie Kagita gibt es eine mysteriöse Verbindung. Im Jahre Shōwa 33 (1958) richtete mein verstorbener Vater Chūzaburō die erste gebührenpflichtige Schnellstraße Japans über den Kōenzan, einen Berg im Osten Naras, ein. Als Zubringer wurde neben dem Friedhof des Tempels Byakugōji eine neue Straße angelegt. Dabei entdeckte er neben der Straße die Gräber Hōzōin Kakuzenbō Ineis und seiner Nachfolger. Das war der Beginn dieser Beziehung.

Von da an wachte mein Vater über diese Gräber und erwies ihnen seinen Respekt. Eines Nachts erschien meinem Vater im Traum ein in ein violettes Gewand gehüllter Mönch, der ihm wortlos aber sehr intensiv etwas mitteilte. Mein Vater, der sich wie gelähmt nicht hatte bewegen können, sprang mit einem lauten Schrei, "Eyh!", auf und öffnete die Augen. An jenem Tag besuchte mein Vater Ineis Grab. Es sah so aus, als würde es gleich anfangen zu regnen, als er im Dunklen vor dem Grab betete. Da erschien ihm dieser Mönch wieder, und mein Vater wusste, dass es sich bei ihn nur um Hōzōin Inei handeln konnte. Mein Vater fragte sich, ob Inei ihm nicht im Traum erschienen war, um ihm eine Aufgabe anzuvertrauen.

Das Zentrale Dōjō für Kampfkünste der Stadt Nara.
Das Zentrale Dōjō für Kampfkünste der Stadt Nara.
Im Jahre Shōwa 48 (1973), mein Vater arbeitete damals als Bürgermeister von Nara mit ganzem Herzen an der Entwicklung der Stadt, erbaute er das Zentrale Dōjō für Kampfkünste der Stadt Nara1, das damals mit einer Größe von 400 Jō2 das größte kommunale Dōjō in ganz Japan war. Während der Bauerbeiten lud er Ishida Kazuto3, den Vorsitzenden des Alljapanischen Kendō-Bunds (und ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes), ein, das Dōjō zu besichtigen. Weil dieser sich sehr interessiert zeigte, als mein Vater ihm erklärte, dass das Dōjō in so großzügigen Dimensionen angelegt sei, um dort auch das Training von Sōjutsu zu ermöglichen, besuchte mein Vater zusammen mit ihm das Grab Hōzōin Ineis. Nachdem sie dort das Hannya-shingyō4 rezitiert hatten, sagte Ishida Kazuto bescheiden: "Ehrlich gesagt kann ich die die Katas des Hōzōinryū Takadaha Sōjutsus ein wenig." So stellte sich zur Überraschung meines Vaters heraus, dass eben dieser Ishida Kazuto das aktuelle Oberhaupt des Hōzōinryū Sōjutsus war. Mein Vater bat ihn darum, anlässlich der Einweihungsfeier des Zentralen Dōjōs für Kampfkünste der Stadt Nara am 28. September des Jahres Shōwa 49 (1974) eine Speer-Demonstration zu geben, und so führte Ishida Kazuto dort zusammen mit Sakanishi Tarō und Yamazaki Suguru die Formen des Hōzōinryū Takadaha Sōjutsus vor.

Ishida Kazuto und Nishikawa Gennai (vorne) im Juli 1976 im Zentralen Dōjō für Kampfkünste der Stadt Nara
Ishida Kazuto und Nishikawa Gennai.
Tief beeindruckt von dieser fantastischen Speer-Vorführung, flehte mein Vater Ishida Kazuto an, diese Speer-Kunst zurück nach Hause kommen zu lassen und sie in Nara zu unterrichten. Ishida Kazuto verstand die Begeisterung meines Vaters und kam seiner Bitte gerne nach. Er unterichtete Schwertkämpfer aus Nara nicht nur in Tōkyō, sondern kam selber häufig nach Nara, wo wir seine Lehren im Sōjutsu eifrig aufnahmen. Schließlich wurde im Februar des Jahres Shōwa 51 (1976) im Zentralen Dōjō für Kampfkünste der Stadt Nara die Großmeisterschaft vom 18. Sōke des Hōzōinryū Takadaha Sōjutsus an Nishikawa Gennai, Kendō 8. Dan Hanshi5, zeremoniell übergeben. So erwachte das Hōzōinryū Sōjutsu, das durch die anti-buddhistische Bewegung in der Meiji-Zeit6 vollständig aus Nara verschwunden war, nach einem Jahrhundert dort wieder zu neuem Leben und schlug neue Wurzeln an seinem Entstehungsort. Und so konnten wir dort das Speer-Training aufnehmen.

Im Mai des Jahres Shōwa 54 (1979) verstarb Ishida Kazuto leider plötzlich. Wenn er damals nicht nach Nara gekommen wäre, wenn mein Vater nicht mit ihm zu Ineis Grab gegangen wäre, wäre das Hōzōinryū Sōjutsu mit ihm wohl ein für alle Mal vom Erdboden verschwunden. Der Gedanke daran macht mich um so dankbarer für dieses historische Glück.

Seit (der Rückkehr der Schule nach Nara) übten wir uns dort mit großem Eifer (im Hōzōinryū Sōjutsu), bis ich schließlich im Juni des Jahres Heisei 3 (1991) von Nishikawa Gennai als 20. Sōke zu seinem Nachfolger berufen wurde. Dieses Amt bekleide ich bis heute.

(Zuerst erschienen im Nara-Stadtmagazin Ubusuna am 05.09.2009)

Anmerkungen:
1. Nara-shi chūō budōjō
2. 1 Jō ist die Fläche einer Tatami-Matte, 182 cm X 91 cm, 400 Jō entsprechen also 662,5 m2. Dies ist nicht die Grundfläche des Gebäudes, sondern die Trainingsfläche!
3. 1903 - 1979, nebenbei auch noch 5. Sōke des Kenjutsu-Stils Ittō Shōden Mutōryū.
4. Das Herz-Sutra.
5. Hanshi, Meister, ist der höchste moderne Lehrerrang im Disziplinen wie Kendō, Iaidō oder Kyūdō.
6. 1868 - 1912

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