Von Kagita Chūbee, 20. Sōke (Oberhaupt) der Hōzōinryū
Ich wünsche Ihnen allen ein schönes neues Jahr.
Es ist mir eine Freude, an dieser Stelle über das Sōjutsu der Hōzōinryū schreiben zu können, und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich über die 12 Folgen, die im Laufe dieses Jahres erscheinen werden, begleiten würden.
Das Sōjutsu (Kunst des Speerfechtens) der Hōzōinryū ist wie das Kenjutsu (Kunst des Schwertfechtens) der Yagyū Shinkageryū eine alte Kampfkunst (Kobudō), deren Wiege Nara war. Der Gründer der Hōzōinryū war Kakuzenbō Inei, der im Hōzōin, einem Untertempel des Tempels Kōfukuji in Nara, lebte. Vor etwa 450 Jahren kreuzte sein Speer das Spiegelbild der Mondsichel auf dem Teich Saruzawa-no-ike, was ihn der Überlieferung zufolge zur Entwicklung von Techniken mit dem Sichelspeer inspirierte und zur Gründung der Hōzōinryū führte. Der in der Hōzōinryū eingesetzte und Kamayari (Sichelspeer) genannte Speer zeichnet sich gegenüber dem normalen geraden Speer, der Suyari heißt, durch seine kreuzförmige Speerspitze aus. Richtig eingesetzt lässt sich mit dem Kamayari nicht nur stechen, sondern man kann mit ihm unter anderem den gegnerischen Speer auch wickelnd zu Boden schlagen (Makiotoshi), schneidend zu Boden schlagen (Kiriotoshi), schlagend zu Boden schlagen (Uchiotoshi) oder mit einer der Sicheln am gegnerischen Speerschaft entlang zur Führhand des Gegners rutschen (Surikomi). Dies macht diesen Speer überlegen in der Offensive sowohl als auch in der Defensive und sorgte dafür, dass die Hōzōinryū bald schon großen Einfluss im ganzen Land hatte und sich zur größten Speerschule Japans entwickelte, deren Speer mit den Worten besungen wurde:
Stechend ist's ein Speer
Mähend gibt er 'ne Naginata her
Man kann ihn wie 'ne Sichel zieh'n
Für den Gegner gibt es kein Entflieh'n.
Hōzōinryū Sōjutsu kommt sowohl in Yoshikawa Eijis Roman "Musashi" als auch im Manga "Vagabond" und nicht zuletzt in der 2003 von NHK ausgestrahlten Serie "Musashi" vor, weshalb der Name der Schule der Allgemeinheit bestens bekannt ist.
Gegenwärtig bin ich das 20. Oberhaupt der Schule, deren Training sich im zentralen Budōjō der Stadt Nara, in Higashiōsaka, in Nagoya und in Hamburg in Deutschland insgesamt etwa 100 Aktive widmen.
Das Fundament alter Kampfkünste (Kobudō) ist das Formentraining (Katageiko), dem zu verdanken ist, das über 400 Jahre alte Kampftechniken bis heute überliefert worden sind. Auch in Europa hat es seit alten Zeiten Fecht- und Speer-Techniken gegeben. Doch erfuhren solche Disziplinen dort eine Versportlichung, in der das Hauptaugenmerk auf das Gewinnen gelegt wurde. Deshalb konzentrierten sich die Ausübenden nur noch auf den Sieg im Wettkampf, was schließlich dazu führte, dass die Techniken von einst verloren gingen. In Japan hingegen sind in allen alten Kampfkunst-Stilen, die von den Vorfahren ersonnenen und zur Blüte gebrachten Techniken durch das beständige Wiederholen des Formentrainings bis heute so überliefert, wie sie einst waren. Für Normalsterbliche ist es nicht einfach, das Erbe von Techniken anzunehmen, um es unverfälscht an die nächste Generation weiterzugeben. Doch wenn diese Tradition einmal unterbrochen wird, ist es unmöglich, sie wiederzubeleben. Dies zu vermeiden jedoch, stellt nicht nur den wahren Reiz des Übens der Kriegskünste dar, sondern ist den Übenden auch Ansporn.
Ich wurde 1957 als zweiter Sohn Kagita Chūzaburōs in Nara geboren. 1961 richtete mein Vater in einem Teil unseres Hauses das Dōjō Shūshinkan (Halle der Herzensbildung) ein, wo er Kendō und Zen unterrichtete. Als wäre es das Natürlichste von der Welt, wurde ich mit drei Jahren Schüler in ebendiesem Dojo und beschritt seither den Übungsweg des Kendōs. Auch nach meinem Wechsel auf die Nara Ikuei-Oberschule und dann an die Kokushikan-Universität schloss ich mich den dortigen Kendō-Klubs an. So war mein Studentenleben geprägt von der Hingabe an die Kampfkunst. Über ie Details der Rückkehr des Hōzōinryū Sōjutsus nach Nara, von wo es einmal verschwunden gewesen war, werde ich in einer späteren Folge nausführlich berichten. Hier nur so viel: während meiner von Kampfkunst geprägten Studentenzeit ergab es sich, dass ich Hōzōinryū Sōjutsu üben konnte.
Zur Zeit darf ich als Mitglied des Unterhauses an der Regierung Japans teilhaben (Anmerkung des Übersetzers: seit Mai 2009 gehörte Kagita Chūbê dem Unterhaus nicht mehr an). Abgeordneter zu sein, ist ein wichtiges Amt, in dem es um die Belange des Staates geht. Insgesamt gibt es, Ober- und Unterhaus zusammengenommen, 722 Abgeordnete. Im Gegensatz dazu hat das Hōzōinryū Sōjutsu weltweit nur ein einziges Oberhaupt. Seit ich das Amt des Oberhaupts übernommen habe, das fast nicht zu erfüllen ist, gebe ich mir beständig Mühe, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Und ich bin wirklich dankbar dafür, dass ich dank der schweren Bürde, das Oberhaupt des Hōzōinryū Sōjutsus geworden zu sein, bis heute meinen Weg gehen konnte, ohne von ihm abzuweichen.
(Zuerst erschienen im Nara-Stadtmagazin Ubusuna am 05.01.2009)